Rapsanbauerin Ulrike Böttcher begegnet seit 30 Jahren der Kohlhernie im Süden der Insel Rügen, Prof. Dr. Becke Strehlow arbeitet mit langjährigem Forschungsschwerpunkt zur Kohlhernie an der Hochschule Neubrandenburg und Jan Niklas Glameyer ist als Anbauberater der NPZ in Kohlherniegebieten unterwegs und mit der Resistenzzüchtung vertraut. Malte Grohall, Norddeutsche Pflanzenzucht, hat wesentliche Aspekte des RAPOOL Profi-Talk für die praxisnah zu Papier gebracht.
Frau Prof. Strehlow, was genau ist Kohlhernie (KH)?
Es handelt sich um einen einzelligen Bodenorganismus, der in Form von sehr persistenten Dauersporen vorkommt. Um sich vermehren zu können, benötigen diese Dauersporen eine lebende, junge Wurzel einer Wirtspflanze, die zuerst in der Wurzelhaarzone infiziert wird. Daher werden oft schon die Keimlingspflanzen oder die jüngeren Seitenwurzeln befallen. Wirtspflanzen sind alle Kreuzblütler – Kulturpflanzen, Unkräuter oder Zwischenfrüchte. Im späteren Verlauf wird die Wurzelrinde infiziert und dann entstehen die typischen Symptome – Wurzelverdickungen, die wir Gallen oder Hernien nennen. Befallene Pflanzen gehen dann oft nicht ins Längenwachstum und welken, da das Wurzelwerk geschädigt ist.
Frau Böttcher, welche Rolle spielt KH in ihrem Betrieb?
Bereits vor der Wende 1989 wussten wir um Kohlhernie in unseren Flächen, inzwischen gehe ich von einer flächigen Verbreitung bei uns aus. Also wir haben im Prinzip schon immer mit dem Erreger zu tun.
Herr Glameyer, welche Rolle spielt KH im gesamtdeutschen Rapsanbau?
Wir leiten ab, dass ca. 10 % der Rapsfläche in Deutschland mit kohlhernieresistenten Sorten bestellt wird, ob das alles tatsächliche KH-Befallsflächen sind, wissen wir nicht. Also in der Gesamtheit ein eher untergeordnetes Problem. In den regionalen Hotspots entlang der Ostseeküste verdichtet sich der Anbau von kohlhernieresistenten Sorten aber auf bis zu 30 %!
Gibt es Jahre, in denen KH begünstigt wird?
Ja, definitiv! So höre ich in diesem Jahr in der Fachberatung mehr Landwirte als sonst, die KH-Symptome in ihren Beständen finden. Der Jahreseffekt aus anhaltender Nässe in Kombination mit warmen Böden kommt dem Erreger enorm entgegen, diese Bedingungen hatten wir die Jahre nicht so flächendeckend.
Frau Prof. Strehlow, wie breitet sich dieser bodenbürtige Erreger denn überhaupt aus?
Das geht eigentlich nur, wenn kontaminierter Boden von Fläche A zu B gelangt, z. B. durch anhaftende Erde an Bodenbearbeitungsgeräten. Da die Sporen sich in bestimmten Stadien wie eine „kleine Kaulquappe“ fortbewegen können, kann sich der Erreger auch über sehr kurze Distanzen aktiv verbreiten – wenn genug Bodenfeuchtigkeit vorhanden ist. Aber das dürfte eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung spielen.
Spielt die Bodenart dabei eine Rolle?
In sandigen Lehmen sehen wir eine höhere Sporenkonzentration. Je höher der Sandanteil, desto weniger Wasser kann gehalten werden. Das ist dann nachteilig für den Erreger. Ebenso in den sehr dichten Poren von hohen Tonanteilen, hier scheint die Mobilität des Erregers eingeschränkt zu sein.
Frau Böttcher, welche Stellschrauben haben Sie in der Praxis?
Je weiter die Fruchtfolge gestellt ist, desto weniger Risiko – weshalb wir den Raps 5-jährig planen. Auch der pH-Wert ist ein Basic für uns, vor Raps kalken wir unsere Flächen. Aktive Böden mit guter Struktur sind mir wichtig, das klappt bei uns mit konservierender Bodenbearbeitung. Ausschlaggebend sind aber auch die resistenten Sorten, die hier von Beginn an der 2000er-Jahre wirklich zuverlässig funktionieren.
Was bedeutet es, wenn eine Sorte resistent ist, Herr Glameyer?
Es handelt sich hier um die sogenannte „Mendel-Resistenz“. Das ist eine rassenspezifische Resistenz gegen Pathotyp 1 und 3: Die Pflanzen haben einen Abwehrmechanismus und bekommen keine Gallen an den Wurzeln. Agronomisch und vor allem ertraglich haben diese Sorten extrem aufgeholt zu konventionellen Top-Sorten. Seit Neuestem ist eine Sorte mit erweiterter Resistenz zugelassen worden, die einen weiteren Pathotyp P1+ abdeckt, die Sorte Credo.
Es gibt viele verschiedene Rassen und Rassengemische. Mit einem sogenannten Differentialset, einem Testerset aus unterschiedlich resistenten Pflanzen, können Rassen identifiziert werden. Die „Mendel-Resistenz“ ist momentan die Grundlage für alle resistenten Sorten. Aber sie hält sehr stabil in der Praxis, da kommt uns die Biologie des Erregers entgegen.
Wie kann ich Kohlhernie auf meinen Flächen reduzieren?
Der Erreger kann schon sehr lange im Boden überdauern. In einer Studie der Uni Rostock konnten auf einer Befallsfläche infektionsfähige Dauersporen auch noch nach 10 Jahren ohne den Aufwuchs auch nur einer einzelnen Wirtspflanze nachgewiesen werden. Die sogenannte Halbwertzeit beträgt vier Jahre, das ist auch unsere Praxisempfehlung als Rapsanbaupause. Also, die Sporen sind im Boden, aber die Bedingungen für Infektionen – Wärme und Bodenfeuchte – müssen schon genau passen.
In die Runde gefragt: Was sind Praxistipps, um Kohlhernie vorzubeugen?
Jan Niklas Glameyer: Ausfallrapsmanagement – den Altraps spätestens bis zum vierten Blatt flach beseitigen. Der Ausfallraps resistenter Sorten spaltet genetisch auf, sodass gewisse Anteile nicht KH-resistent sind! Zusätzlich Anbaupausen von mindestens vier Jahren einhalten. In unseren Versuchen haben wir einen positiven Effekt bei späteren Aussaatterminen mit kühleren Bodentemperaturen beobachtet und pH-Werte über 6,4 haben sich als deutlich weniger infektiös gezeigt. Staunässe ist zu vermeiden.
Ulrike Böttcher: Wir achten darauf, dass die Zwischenfrüchte frei von Kruziferen sind und setzen auf Rauhafer oder Phacelia. Den Ausfallraps bearbeiten wir mehrfach flach, z. B. mit dem Striegel und wir setzen konsequent auf resistente Sorten. Durch regelmäßige Kalkung verbessern wir die Bodenstruktur und halten den pH-Wert hoch.
Becke Strehlow: Kruziferenfreie Zwischenfrüchte – von Senf würde ich abraten, es gibt hingegen resistente Ölrettiche. Doch auch diese sollten nicht auf kontaminierten Flächen angebaut werden, da diese ausschließlich Resistenz-brechende Rassen vermehren. Es kommt zu einer Rassenverschiebung hin zu problematischen Rassen. Kruzifere Unkräuter beseitigen: Ich hatte gerade einen Fall in Mecklenburg-Vorpommern mit massiver KH am Hirtentäschel! Resistente Rapssorten nur auf kontaminierten Flächen anbauen: Der Befall zeigt sich oft nesterweise. Je eher ich das mitbekomme, desto größer sind die Chancen, den Erreger nicht auf andere Bereiche zu verschleppen. Wenn prophylaktisch resistente Rapssorten angebaut werden, dann bekommt man den Befall erst mit, wenn die Rassenverschiebung weit fortgeschritten ist und problematische Rassen auf der Fläche dominieren.
Wie stabil ist die „Mendel-Resistenz“ noch, Frau Prof. Strehlow?
Um weiteren Überblick über die Rassenvorkommen in Deutschland zu bekommen, haben wir zusammen mit RAPOOL ein Praxismonitoring auf 70 Befallsflächen gemacht. In 70 % dieser Bodenproben haben wir den Erreger nachgewiesen. Unser Biotest zeigte, dass die „Mendel-Resistenz“ dann immer noch auf sehr stabilem Niveau auf 60 % dieser kontaminierten Flächen hält, die erweiterte Resistenz sogar auf 80 %!
Wird KH weiter zunehmen?
Da es im Herbst tendenziell nasser und wärmer wird, kann theoretisch von einer zunehmenden Verbreitung ausgegangen werden. Davon würden wohl alle Rassen profitieren, nicht nur die problematischen, gegen die es im Moment noch keine Resistenz gibt.
Frau Böttcher, wie sehen Sie der KH entgegen?
Wir bauen natürlich voll auf die Züchtung, dass es entsprechende Antworten in den Sorten gibt. Aber wir müssen parallel auch der zunehmenden Frühjahrstrockenheit und Schädlingen trotzen.
Herr Glameyer, macht die Züchtung hier Fortschritte?
Mit der Neuzulassung Credo sind wir zwar schon gut aufgestellt, aber es wird sicher in Sachen KH weiteren Resistenzausbau geben!