Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene wird das Ziel der Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln politisch stetig vorangetrieben. Aufgrund dessen herrscht erhebliche Unsicherheit in der Landwirtschaft. Man fragt sich, wie die Reduktion gemessen werden soll, ob und wie diese Ziele erreicht werden können und was das alles letztendlich kosten wird. Dr. Marcel Dehler vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft erörtert mögliche Optionen zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln.
Der politische Prozess
Bereits im Jahr 2019 wurde durch die veröffentlichte „Farm-to-Fork“-Strategie der EU-Kommission eine Reduktion der Menge sowie der Risiken bis zum Jahr 2030 um 50 % gefordert. Dabei führt jedoch eine Halbierung der Wirkstoffmenge nicht zwangsläufig zu einer Risikoreduktion in entsprechender Höhe. Eine reine Mengenreduktion würde voraussichtlich dazu führen, dass zunehmend Wirkstoffe eingesetzt werden, deren Standardaufwandmenge vergleichsweise gering ist. Wirkstoffe mit höheren Aufwandmengen, jedoch einer ggf. geringeren Toxizität, würden weniger appliziert werden. Will man die Auswirkungen auf den Naturhaushalt senken, so erscheint eine alleinige Mengenreduktion hier nicht zielführend.
Im Entwurf der „Sustainable Use Regulation (SUR)“ vom Juni 2022 konkretisiert die EU-Kommission die Reduktionspläne. In dem Entwurfspapier wird der sogenannte „Harmonised Risk Indicator (HRI)“ als Maßstab zur Risikoabschätzung vorgeschlagen. Dieser Indikator wird EU-weit seit 2011 jährlich auf nationaler Ebene ermittelt und setzt sich aus der abgesetzten Wirkstoffmenge eines Jahres (in Tonnen) und einem Risikofaktor zusammen. Letzterer beruht auf einer Einteilung aller Wirkstoffe in vier Gruppen mit unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren, die anschließend mit den Aufwandmengen multipliziert werden. Für sogenannte „Low Risk“-Wirkstoffe beträgt der Gewichtungsfaktor 1. Die meisten zugelassenen Wirkstoffe sind in die Gruppen 2 (Gew.-Faktor 8) und 3 (Gew.-Faktor 16) eingeteilt, wobei sämtliche Substitutionskandidaten der EU in Gruppe 3 fallen. Verliert ein Wirkstoff im Zeitablauf seine Zulassung, wird dieser auch für die zurückliegenden Jahre in Gruppe 4 verschoben (Gew.-Faktor 64). Aufgrund des veränderten Gewichtungsfaktors erhöht sich somit die Ausgangsbasis rückwirkend erheblich. Im derzeitigen Verordnungsentwurf wird als Referenzzeitraum der Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2017 genannt.
Somit deutet nach derzeitigem Diskussionsstand vieles darauf hin, dass die Reduktionsziele auf nationaler Ebene anhand der Absatzmengen gemonitort werden und nicht auf einzelbetrieblicher Ebene. Es ist aber nicht auszuschließen, dass eine künftige Erfassung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auf betrieblicher Ebene erfolgen wird.
Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Betrieb
Welche ackerbaulichen Stellschrauben existieren also, um die Notwendigkeit eines Pflanzenschutzmittelweinsatzes zu reduzieren? Aufgrund von Standortunterschieden und Witterungseinflüssen kann es kein „Standardrezept“ für alle geben. Dennoch können aus vorliegenden Versuchsergebnissen die grundsätzlichen Stellschrauben abgeleitet werden:
Fruchtfolge und Vorfrucht: Versuchsergebnisse bestätigen, dass sowohl die Zusammensetzung der Verunkrautung als auch ihre Stärke in hohem Maße von der Fruchtfolge beeinflusst wird. Enge Rotationen mit einem hohen Anteil an Winterungen weisen deshalb häufig eine höhere Pflanzenschutzmittelintensität auf als solche, in denen vermehrt Sommerungen angebaut werden. Ein Wechsel Blatt- und Halmfrucht und Sommer- und Winterung innerhalb der Fruchtfolge kann die notwendige Herbizidintensität um rund 20 % senken.
Bodenbearbeitung: Mulchsaatverfahren schonen zwar den Boden, führen jedoch zu einer erhöhten Pflanzenschutzintensität mit Herbiziden und Fungiziden. Diese ist im Wintergetreide bei einer nicht-wendenden Bodenbearbeitung um rund 15 % höher als nach einer Pflugfurche.
Sortenwahl: Durch den Anbau von gesunden bzw. resistenten Sorten können der Fungizidaufwand reduziert und die Zeitfenster für Behandlungen aufgrund langsamerer Krankheitsverläufe verlängert werden. In Kombination mit situationsangepassten Fungizidstrategien sind Einsparungen um z. T. mehr als 50 % möglich. Die geringeren Erträge und daraus resultierenden Mindererlöse der angepassten Strategien können häufig durch sinkende Fungizidkosten kompensiert werden.
Saatzeit: Bei stark winterungenbetonten Fruchtfolgen kommt es zu Arbeitsspitzen im Herbst, was Betriebe häufig zu sehr frühen Herbstaussaatterminen veranlasst. Dies begünstigt jedoch das Auflaufen von Ungräsern, vor allem Ackerfuchsschwanz. Praxisauswertungen für Winterweizen zeigen, dass ein früherer Aussaattermin vor allem beim Herbizideinsatz in den meisten Fällen zu einem signifikant höheren Behandlungsindex führt. Hinzu kommt, dass Frühsaaten häufig stärker von Virusbefall betroffen sind und auch Pilzkrankheiten wie Halmbruch oder Septoria tritici verstärkt auftreten.
Mechanische Unkrautregulierung: Die mechanische Unkrautregulierung erfolgt durch Ausreißen und Verschütten der Zielpflanzen. Allerdings sind die Wirkungsgrade mit etwa 70 % deutlich geringer als bei chemischen Verfahren, in denen Wirkungsgrade von über 90 % erreicht werden. Die Wirtschaftlichkeit der mechanischen Verfahren hängt in hohem Maße von der Kulturart und dem Einsparpotenzial der Herbizidkosten ab. So ergeben die Kosten für Herbizide in Silomais mit etwa 75 €/ha ein deutlich geringeres Einsparpotenzial im Vergleich zu Zuckerrüben mit Kosten von über 300 €/ha.
Innovative Verfahren und Technologien: Es gibt eine Vielzahl innovativer und vielversprechender Technologien, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu senken. Hierzu zählen alternative Bekämpfungsmethoden mit Mechanik, Strom oder Wärme. Innerhalb des chemischen Pflanzenschutzes zeichnet sich eine zunehmend exaktere Platzierung durch Verfahren wie die Band- oder Spot-Applikation ab. Letzteres basiert auf optischen Sensoren und Bilderkennungsalgorithmen, die zwischen Kulturpflanzen und Unkräutern bzw. -gräsern differenzieren. Da die Ackerflächen in diesem Fall nicht mehr ganzflächig, sondern nur noch punktuell mit blattaktiven Herbiziden behandelt werden, kann die ausgebrachte Wirkstoffmenge zum Teil um bis zu 70 % sinken.
Die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln gibt es allerdings nicht immer zum Nulltarif. Hinzu kommt, dass sich viele der genannten technologischen Innovationen noch im Status von Prototypen oder der Markteinführung befinden. Eine Arbeit zur Reduktion des Risikos von Pflanzenschutzmitteln berücksichtigt vor diesem Hintergrund vor allem ackerbauliche Maßnahmen. Danach zeigte sich basierend auf einem exemplarischen Ackerbaubetrieb in der Region Südhannover, dass moderate Reduktionsziele um 25 % keine nennenswerten Ertragsverluste und auch nur moderate Anpassungskosten erwarten lassen. Für eine Risikoreduktion um 50 % sind hingegen größere Anpassungsreaktionen notwendig. Hier steigen Ertragseffekte – insbesondere in Jahren mit Witterungsextremen an, sodass auch die Kosten auf mehr als 90 €/ha steigen. Der Ertragsrückgang vom Vergleich zur Basis beträgt in der Modellkalkulation 7 %.
Voraussichtlich wird keine der genannten einzelnen Stellschrauben das Allheilmittel werden. Vielmehr wird es zukünftig darum gehen, sowohl ackerbauliche als auch technische Lösungsansätze sinnvoll miteinander zu kombinieren und standortangepasste Ansätze zu entwickeln.
Bilder: Dehler, Munz, Amazone, praxisnah
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Aus Ergebnissen diverser Versuche können folgende Stellschrauben zur Reduzierung von Pflanzenschutzmaßnahme abgeleitet werden:
- Fruchtfolge und Vorfrucht: Zum Beispiel kann die Herbizidintensität einer Fruchtfolge um bis zu 20 % gesenkt werden, Blatt- und Halmfrucht sowie Sommerung und Winterung wechseln.
- Bodenbearbeitung: Nichtwendende Bearbeitungsformen führen zu einer um 15 % erhöhten Herbizidintensität.
- Sortenwahl: Die Kombination von gesunden Sorten plus angepasster Fungizidstrategie ermöglicht eine Reduktion von bis zu 50 %.
- Saatzeit: Frühe Saaten von Wintergetreide begünstigen Problemungräser wie Ackerfuchsschwanz, es treten vermehrt Virosen auf und auch einige Pilzerkrankungen werden gefördert.
- Mechanische Unkrautregulierung
- Nutzung von innovativer Technik: z. B. Band- oder Spotapplikation
Fazit: Allheilmittel ist keiner der oben genannten Punkte, sie müssen vielmehr sinnvoll und standort- sowie Kulturartbezogen kombiniert werden.