Welche Sorteneigenschaften werden in 20–30 Jahren gefordert – von der Landwirtschaft, der Industrie, von Verbraucherinnen und Verbrauchern? Sichere Prognosen und damit eine langfristige strategische Ausrichtung sind extrem schwierig, das Risiko ist für die Züchterhäuser dementsprechend hoch. Dr. Jon Falk von der SAATEN-UNION Biotec GmbH erläutert die Möglichkeiten, dieses Risiko zu senken.
Auch mit modernsten Methoden dauert die Entwicklung neuer Pflanzentypen mehr als 10 Jahre. Eine Sorte ist im Markt nur dann erfolgreich, wenn sie die dann geforderten Bedingungen erfüllt. Es geht aber nicht nur um einzelne Sorten, sondern um Sortenstrategien: Ein (in Deutschland oft mittelständisches) Pflanzenzuchtunternehmen muss grundsätzlich entscheiden, in welche Richtung es gehen will. Dies ist eine existenzielle Entscheidung, die gut überlegt sein will.
Welche Forderungen werden in 20 Jahren an eine Sorte gestellt?
Vorneweg: Die Antwort auf diese Frage ist in keinem Fall gesichert, sondern im günstigsten Fall wahrscheinlich.
1. Wichtige Faktoren sind die wahrscheinlichen Veränderungen der Witterungsbedingungen. Hier ist nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen z. B. davon auszugehen, dass lange Trockenphasen ebenso wie Extremwetterereignisse häufiger vorkommen werden, strenge Fröste während der Wintermonate hingegen zwar seltener, dafür aber strenger werden. Das Wetter wird volatiler: Durchschnittswerte ändern sich u. U. nicht stark, aber es kommen häufiger Extremwetterlagen vor. Sollten während des über 10 Jahre dauernden Züchtungsprozesses einer Sorte vorrangig trockene, nasse, warme oder kalte Wetterlagen vorherrschen, würde die züchterische Selektion solche Pflanzen bevorzugen, die an diese Bedingungen angepasster sind. Ändern sich in den folgenden Jahren die Wetterbedingungen in die andere Richtung, wäre diese Selektion nicht optimal. Es muss also eine ausgewogene Selektion in alle Richtungen erfolgen – eine züchterische Herausforderung!
2. Auch die Anforderungen der Industrie an die Pflanzenproduktion werden sich weiter verändern. Beispiel Eiweißpflanzen: Bei Ackerbohnen und Körnererbsen nimmt der Anteil zur Verwertung für die menschliche Ernährung kontinuierlich zu. Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Proteinpflanzen oft Basis für Fleischersatzprodukte darstellen – und dieser Markt boomt seit Jahren. Andererseits sind die technischen und teilweise qualitativen Anforderungen andere als für die Futterproduktion.
3. Sollte der Fleischkonsum nachhaltig zurückgehen, würden weniger Futterpflanzen benötigt. Auch das hätte Folgen für die Züchtungsschwerpunkte.
4. Unter Umständen wächst zukünftig auch die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen. Hier muss man zwischen Energiepflanzen und anderen Ölersatzstoffen unterscheiden. Vermutlich wird in der Landwirtschaft eine duale Verwertung des Ernteguts an Bedeutung zunehmen – Nahrung/Futter plus nachwachsende Rohstoffe/Energie. Dadurch würde sich die Vergütung ändern, was ein Vorteil sein könnte, da der Ertrag nicht nur von einem Produkt abhinge.
Langfristigkeit birgt ein hohes Risiko
Diese langfristigen Entwicklungen lassen sich nicht sicher vorhersagen. Auch vor 30 Jahren war der Klimawandel schon Thema, aber die tatsächlichen Entwicklungen wurden damals nicht mit der Intensität und Geschwindigkeit prognostiziert, wie sie eingetreten sind. Auch die Umsetzung der CO2-Reduktionsziele ist nicht ansatzweise so erfolgt wie geplant.
Diese Unsicherheit birgt ein extrem hohes wirtschaftliches Risiko, das nicht von „dem“ einzelnen Züchterhaus getragen werden kann.
Internationale, vielschichtige Zusammenarbeit senkt Risiken
Um einerseits das Risiko zu mindern, andererseits aber auch den Wissenstransfer zu erhöhen, erfordert es auf vielen Ebenen eine intensive Zusammenarbeit – und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Klimatologie, Soziologie, Pflanzenzüchtung und Betriebswirtschaft. Nur so können alle Aspekte erfasst werden, die einen Einfluss auf den zukünftigen Bedarf an neuen Sorten haben könnten.
Es wird eine Strategie der Züchtung benötigt – genau genommen mehrere Strategien! So wie auch heute schon in Europa Sorten entwickelt werden, die an ein maritimes oder eher kontinentales Klima angepasst sind, müssen entsprechende Szenarien entwickelt werden, die neben den zu erwartenden klimatischen Bedingungen auch die zukünftigen Märkte und deren Erwartungen hinreichend abdecken. Und das nicht nur für Deutschland oder Europa: Auch mittelständische Züchter wie die Gesellschafter der SAATEN-UNION sind sehr vernetzt und international aufgestellt und arbeiten bei einer Vielzahl von Forschungsprojekten mit. Im Rahmen solcher Projekte erhalten sie Zugang zur pflanzlichen Genetik aus solchen Regionen, die schon heute an das zukünftige Klima in Deutschland und anderen Regionen der EU angepasst sind. Diese Firmengründungen, Kooperationen und Forschungsprojekte versprechen eine schnellere Entwicklung neuer angepasster Sorten, binden jedoch extrem viel Personalressourcen und sind sehr teuer. Die Budgets der am Ende des Beitrages aufgeführten Forschungsprojekte liegen meist zwischen 2 und 4 Millionen Euro. Dies sind Investitionen in die Zukunft, die durch im Markt funktionierende Sorten zumindest teilweise refinanziert werden müssen.
Zukunftsweisende Projekte in der Pflanzenzüchtung
Der Zuchtfortschritt lässt sich am einfachsten anhand der sogenannten Züchterformel darstellen. Sie beschreibt den Einfluss verschiedener Faktoren auf den Zuchtfortschritt.
Eine Steigerung des Zuchtfortschritts ist z. B. durch Nutzung einer größeren genetischen Varianz (ΣA) möglich. Dieses kann erreicht werden, wenn auch exotische Sorten oder Wildformen der Kulturarten für die Entwicklung neuer Sorten verwendet werden.
Auch eine Verbesserung der Selektionsintensität und der Selektionsgenauigkeit fördern den Zuchtfortschritt. Hier gibt es Forschungsarbeiten, die Zuchtmethoden effizienter machen sollen (in der Formel Selektionsintensität und -genauigkeit). Mehr Effizienz bedeutet weniger Kosten und schnellere Abläufe. Die Effizienzsteigerung bei der Erfassung der Merkmale von Pflanzen (Phänotypisierung), mit der sich einige Projekte beschäftigen, ist hier ein Beispiel. Die Phänotypisierung ist noch sehr zeitintensiv und kann oft nur rein visuell von Menschen durchgeführt werden, was sie fehlerbelastet macht. Drohnen mit entsprechender Technik könnten bei der Selektion im Zuchtgarten wertvolle Vorarbeit leisten und die ersten Selektionsstufen übernehmen – ohne menschlichen Fehler.
Allerdings gibt es auch in absehbarer Zukunft Grenzen, nach denen dann „auf den letzten Metern“ doch die menschliche Fachexpertise herangezogen werden muss.
ProWeizen z. B. ist eine Forschungs- und Züchtungsallianz, in der Forschungsprojekte zu Zuchtmethodik, Ertragssteigerung und Resistenzmechanismen spezifisch für Weizen durchgeführt werden. In diesem Verbundprojekt BigData werden umfangreiche phänotypische und genomische Daten von größeren Weizenpopulationen gesammelt. Mit Hilfe dieser Datensätze werden neue Vorhersagemodelle entwickelt, die den Züchtungsprozess beschleunigen soll (Zyklusdauer in der Formel). In der ersten Ausgabe der praxisnah 2024 wurde die Forschungsarbeit in der Entschlüsselung von Genomen von Nutzpflanzen und Wildarten und deren Nutzen für die Landwirtschaft berichtet (www.praxisnah.de/202411).
Wegen des immer schneller werdenden Klimawandels ist auch eine Beschleunigung der Zyklusdauer eine wichtige Größe. Je schneller wir sind, desto größer ist auch der zu erwartende Zuchtfortschritt. Hier setzen insbesondere Arbeiten der SAATEN-UNION Biotec GmbH an. Durch die Verwendung der sogenannten Doppelhaploidentechnologie kann der Zuchtprozess um 1–2 Jahre verkürzt werden. Diese Technologie ist jedoch noch nicht für alle Kulturen verfügbar. Es besteht also noch ein Forschungsbedarf.
Die SAATEN-UNION Biotec GmbH wurde 1984 als SAATEN-UNION Resistenzlabor OHG gegründet. Inzwischen arbeitet das Unternehmen als SAATEN-UNION Biotec GmbH für acht Gesellschafter. Vorrangiges Ziel ist die gemeinschaftliche Finanzierung von Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der biotechnologisch gestützten Pflanzenzüchtung für eine erfolgreiche Sortenentwicklung. Auswahl der laufenden bzw. in den letzten zwei Jahren abgeschlossenen Forschungsprojekte (die Namen der Projekte sind mit den Projektseiten verlinkt. Stand der Links 15.10.2024): BigData (BMEL): Nutzung von BigData in Weizen zur Präzisionszüchtung FastFlow (BMEL): Generationsbeschleunigung bei Winterweizen durch vernalisationsunabhängige Induktion der Ährenbildung SimpliProBar (EUROSTAR): Braugerste mit verbesserter Malzqualität EnCroPho-2 (BMBF): Steigerung der Photosynthese von Nutzpflanzen FuReWheat (BMEL): Winterweizenresistenz gegenüber bodenbürtigen Viren im Zeichen des Klimawandels |
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Welche Sorteneigenschaften werden in in 20-30 Jahren von der Landwirtschaft und von der Gesellschaft gefordert? Wie entwickelt sich das Klima, in dem diese Pflanzen dann Leistung bringen müssen?
Die Prognosen sind hier extrem unsicher, aber die einzelnen Züchterhäuser müssen sich bei der Festlegung ihrer langfristig ausgerichteten Strategien festlegen. Das birgt enorme Risiken. Die Zusammenarbeit und internationale Vernetzung von Experten ist entscheidend, um diese Risiken zu mindern. Nur so kann es gelingen, die Effizienz der Züchtung zu steigern. Zukunftsprojekte wie ProWeizen arbeiten an effizienten Zuchtmethoden für klimaresistente Sorten. Die SAATEN-UNION Biotec GmbH ist an verschiedenen Forschungsprojekten beteiligt, die die Sortenentwicklung vorantreiben.