2023/24: das Virusjahr für die Wintergerste - I Auswirkungen auf die Züchtung

2023/24: das Virusjahr für die Wintergerste - I Auswirkungen auf die Züchtung

Tierische Schaderreger in Wintergetreide werden unter anderem durch den Klimawandel gefördert. So hat das von Blattläusen übertragende Gerstengelbverzwergungsvirus (BYDV) in der Gerste im Anbaujahr 2023/24 in Norddeutschland aber auch in Polen, Tschechien, Ungarn und Österreich zu erheblichen Ertragseinbußen geführt. Viktoria-Elisabeth Dohrendorf und Dr. Eberhard Laubach, Nordsaat Saatzucht GmbH, erläutern die Auswirkungen auf die Wintergersten­züchtung.

Verschärfte Zulassungskriterien für Pflanzenschutzmittel und ein steigendes Risiko der Resistenzbildung gegenüber insektiziden Wirkstoffen fordern die Pflanzenzüchtung heraus – hier müssen neue Schwerpunkte gesetzt werden. Unterschiedliche Blattlausarten wie die Haferblattlaus, Große Getreideblattlaus und Bleiche Getreideblattlaus können als Vektoren das Virus auf das Getreide übertragen. Die Getreidezüchtung verstärkte daher die Aktivitäten in der Resistenzzüchtung: Durch Grundlagenforschung des Julius-Kühn-Instituts (JKI) war es möglich, der Praxis – basierend auf zwei unterschiedlichen Genen (yd2 und yd4) – tolerantes oder resistentes Sortenmaterial zur Verfügung zu stellen. Durch den Anbau dieser Sorten lassen sich in der Gerste Insektizide einsparen.


Situation am Züchtungsstandort Gudow

Im letzten Herbst 2023 konnte am Züchtungsstandort der Firma Nordsaat Saatzucht GmbH in Gudow im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) die Wintergerste unter fast optimalen Bedingungen von Mitte bis Ende September gedrillt werden. Nach einem guten Vegetationsstart traten nach ausgiebigen Regenmengen von Anfang/Mitte Oktober bis in das Frühjahr hinein dann aber deutliche Vergilbungen auf. Diese waren jedoch nicht nur im Zuchtgarten, sondern auch auf Praxisflächen in der Umgebung auf Faktoren wie Stickstoffverfügbarkeit, Staunässe oder auch vorherige Bodenbearbeitungsmaßnahmen zurückzuführen.

Untersuchungen im Frühjahr zeigten jedoch, dass auch Gelbverzwergungsvirus-Symptome (BYDV – Barley Yellow Dwarf Virus) im Feld vorhanden waren. Viele Wintergerstenbestände sowohl am Zuchtstandort als auch auf Praxisschlägen konnten aufgrund der guten Witterungsbedingungen im September sehr zeitig in die Erde kommen. Ende September befanden sich viele Bestände schon im 2. Blattstadium. Das warme Wetter im Herbst sorgte für einen verstärkten Blattlauszuflug in die Getreidebestände. Dennoch wurde die Gefahr durch Virusinfektionen als nicht allzu hoch eingeschätzt, da untersuchte Blattläuse auch teilweise frei von Viren waren und somit von diesen Tieren keine Infektionsgefahr ausging. Die infizierten Blattläuse jedoch verursachten nachhaltige Schäden an den Pflanzen. Eine verlässliche Prognose über die Gefährdung also von Virusinfektionen in Getreidebeständen ist in der Praxis kaum möglich.


Zuchtgarten Gudow Mikroplots: Aussaat 17.09.202; stark bis extrem starkt befallene Mikroplots
Zuchtgarten Gudow Mikroplots: Aussaat 17.09.202; stark bis extrem starkt befallene Mikroplots

Zuchtgarten Gudow Mikroplots: Aussaat 26.09.2023: überweigend gesunde oder schwach befallene Mikroplots
Zuchtgarten Gudow Mikroplots: Aussaat 26.09.2023: überweigend gesunde oder schwach befallene Mikroplots


Risiko begrenzen

Grundsätzlich begünstigt ein milder und sonniger Herbst den Zuflug von Blattläusen und erhöht damit das Befallsrisiko. Auf vorbeugende Maßnahmen wie die Vermeidung grüner Brücken und die konsequente Ausfallgetreidebekämpfung ist daher zu achten, insbesondere da Blattläuse einen großen Wirtspflanzenkreis nutzen. Weiterhin können die Nachbarflächen das Risiko erhöhen. Durch die Ernte von Maisfeldern kann der Zuflug auf Nachbarflächen deutlich steigen. Dies und der Zuflug aus Feldrändern sollte bei der Aussaat berücksichtigt werden.

Wichtig ist ebenfalls, dass notwendige Insektizidmaßnahmen rechtzeitig durchgeführt werden. In Gudow wurden diese erst Anfang Oktober appliziert.


Saattermine sind entscheidend!

Die Aussaat der einzelnen Zuchtgartenanlagen findet zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt. Im Frühjahr dieses Jahres zeigten sich deutliche Unterschiede in den Parzellen in Abhängigkeit von den Saatterminen. Alle Anlagen, die vor dem 20./21. September gedrillt wurden, waren sehr stark vom Gelbverzwergungsvirus betroffen. In den Wintergerstenblöcken, die danach gedrillt worden sind, waren nur sehr vereinzelt Pflanzen betroffen. Es war klar erkennbar, dass der Saattermin für das Infektionsgeschehen eine entscheidende Rolle spielt. Für die Praxis heißt das in der Konsequenz: Nicht zu frühe Saattermine wählen und vor allem den Saattermin den Witterungsverhältnissen anpassen.


Auswirkungen des Virusbefalls auf die Züchtungsarbeit

Das Ausmaß des Virusbefalls in Gudow war für das Zuchtprogramm dramatisch. Teilweise gab es Parzellen mit Totalausfällen. Doch war das nicht ausschließlich von Nachteil: Denn der Zuchtgarten zeigte insgesamt ein sehr differenzierendes Bild, das wiederum eine sehr gute Grundlage für Selektionsentscheidungen lieferte. Auf den Bildern ist sehr deutlich zu erkennen, in welchen Parzellen widerstandsfähige Pflanzen stehen und in welchen es zu großen Ausfällen kam. Es gab Parzellen, in denen alle Pflanzen völlig vital und unbeeinflusst wuchsen und andere Parzellen, in denen nicht mal mehr eine gesunde, nicht infizierte Pflanze zu finden war. Außerdem gab es Material, welches nicht nur vollständig virusresistent war, sondern zudem auch noch bei einem stark vorherrschenden Krankheitsdruck mit pilzlichen Erkrankungen völlig blattgesund war.

Es wurde also schnell deutlich, dass sich in dem vorhandenen Zuchtmaterial der Nordsaat auch tolerantes Material befindet. Mit diesem jungen, virusresistenten und gesunden Material werden neue Kreuzungen durchgeführt.

Da in den extrem befallenen Parzellen teilweise zu wenig Pflanzen für eine Beerntung zur Verfügung standen, bestand in Gudow nicht mehr die Möglichkeit, mit Material aus diesen Parzellen weiterzuarbeiten. Für das Zuchtprogramm in Gudow gab es aufgrund der Virussymptome im jungen Zuchtmaterial daher nur die Möglichkeit der Selektion im BYDV toleranten und resistenten Material. Im Grunde genommen war der starke Befall aber vor dem Hintergrund, dass in Zukunft mehrfachresistente Sorten eine immer größere Rolle spielen werden, positiv: Hier wurde auf ganz natürliche Weise anfälliges Material ausselektiert. Glücklicherweise ist die Züchtung schon so weit fortgeschritten, dass es schon einige zugelassenen und auf dem Markt verfügbaren Wintergerstensorten mit einer BYDV-Toleranz gibt.


Multiresistente Sorten nutzen

Der Anbau von Sorten, die multiresistent sind, kann auf Befallsstandorten mit bodenbürtigen Viren deutliche Ertragsvorteile mit sich bringen. Wenn man von Mehrfachresistenz oder auch Multiresistenz im Virusbereich in der Wintergerste spricht, dann geht es um die angesprochene Toleranz gegen BYDV und die Resistenz gegen Bodenmosaikviren (BaYMV-1, BaYMV-2, BaMMV).


SU  VIRTUOSA: BaMMV, BaYMV-1, BYDV-Resistenz
SU VIRTUOSA: BaMMV, BaYMV-1, BYDV-Resistenz


Ausblick

Nicht nur Blattläuse spielen im Krankheitsgeschehen von Getreide eine Rolle – und werden vermutlich aufgrund steigender Temperaturen immer bedeutendere Krankheitsüberträger, sondern auch Zikaden: Sie können das Weizenverzwergungsvirus (WDV – Wheat Dwarf Virus) in die Gerste übertragen. Zwar sind schon erste resistente Wintergersten auf dem Markt, aber hierzu gibt es noch erheblichen Bedarf an Grundlagenforschung.

Sicher ist: Der Bedarf an multiresistenten Sorten steigt und die Züchtung ist sich dessen bewusst. Es werden der Praxis also in den kommenden Jahren in Deutschland mehr multiresistente Sorten zur Verfügung stehen.


Schnell gelesen (Kurzfassung):

Tierische Schaderreger in Wintergetreide (und auch einige pilzliche Erkrankungen) werden durch den Klimawandel gefördert. Blattläuse als Virusüberträger verursachten im Anbaujahr 2023/24 in Norddeutschland und anderen europäischen Ländern  in der Wintergerste erhebliche Ertragseinbußen, unter anderem durch das BYDV-Virus. 

Da auch in Zuchtgärten teilweise Totalausfälle zu beobachten waren, hatte dieser Befall ganz erhebliche Auswirkungen auf die Züchtungsarbeit, wie Viktoria-Elisabeth Dohrendorf und Dr. Eberhard Laubach, Nordsaat Saatzucht GmbH, berichten. Doch der starke Befall in den Zuchtgärten hat auch gezeigt: Es gibt resistentes Material und zudem zusätzlich Pflanzen, die nicht nur gegen die Viren sondern auch noch gegen die ebenfalls massiv aufgetretenen Blattkrankheiten eine große Widerstandsfähigkeit haben. Dieses Material bildet nun die Basis für das, was der Markt zukünftig umso mehr benötigt: Multiresistente Sorten, die auch gegen pilzliche Erkrankungen eine hohe Widerstandsfähigkeit aufweisen und trotzdem ertagsstark sind.