(Un)Verträglichkeit von Weizen und Spelzweizen: Fakten und Mythen

(Un)Verträglichkeit von Weizen und Spelzweizen: Fakten und Mythen

In der Presse, aber auch im Gespräch mit Nichtlandwirten, wird oft gegen den klassischen Weichweizen scharf geschossen: Neue Sorten würden krank machen. Viele behaupten, Weichweizen nicht zu vertragen, Dinkel und „Urgetreide“ aber schon. Denen, die Weizen anbauen, fehlen dann oft die Argumente. Einige dieser Diskussionspunkte werden und wurden bereits wissenschaftlich untersucht. Felix Buchholz, Südwestdeutsche Saatzucht, gibt einen Überblick – und Ihnen „Stoff“ für die nächste Verbraucherdiskussion.

lechere Brötchen mit /aus Weizenmehl: Nicht für jeden Menschen ein Genuss!
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Dinkel = Spelzweizen = Weizen?

Weichweizen, Dinkel, Emmer und Einkorn zählen zur Gattung Weizen (Triticum). Während Weichweizen freidreschend ist, werden Dinkel, Emmer und Einkorn im Spelz geerntet und daher auch als Spelzweizen bezeichnet. Entwicklungsgeschichtlich sind Emmer und Einkorn direkte Vorfahren von Dinkel und Weizen. Aufgrund der gemeinsamen Abstammung (Abb. 1) sind diese Arten ernährungsphysiologisch nicht grundlegend voneinander verschieden. Auch wenn große Teile ihres Genoms identisch sind, gibt es hier doch deutliche Unterschiede. Dies hat mit der Entstehungsgeschichte der Weizenarten zu tun. Es gibt zwar mehrere Hypothesen zur Entstehung von Dinkel und Weizen, aber allen ist gemeinsam, dass ein großer Teil des Stammbaums beider identisch ist. Bei Weizen und Dinkel sind zudem etwa 35 % der Proteine signifikant unterschiedlich. Auch enthält Dinkel im Durchschnitt der Sorten doppelt so viele Mineralstoffe und fast doppelt so viele essenzielle Fettsäuren wie Weichweizen. Vergleichbares gilt für Emmer und Einkorn. Letzteres enthält auch um ein Vielfaches mehr an Lutein, ein Protein, welches die Sehkraft stärkt und im Körper Radikale bindet. Dinkel, Emmer und Einkorn sind zudem etwas glutenhaltiger (Gliadine und Glutenine) als Weizen. Daher ist bei Unverträglichkeit bzw. Allergie gegen Gluten (Zöliakie) zwingend auch vom Konsum dieser Arten abzuraten. Wie kommt es also, dass dennoch einige Menschen Produkte aus Dinkel, Emmer und Einkorn besser vertragen?


Hypothesen zur Entstehung von Dinkel
Hypothesen zur Entstehung von Dinkel


ATIs als Ursache?

Vereinzelte Forschungsinstitute vermuten als eine Ursache für die bessere Verträglichkeit von Dinkel die ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) Proteine. Tatsächlich sind die ATI-Proteine im Dinkel und Weichweizen eindeutig abgrenzbar. Es wird vermutet, dass durch die spezielle und meist längere Teigführung bei Dinkel diese Proteine verstärkt abgebaut werden. Dennoch gibt es bislang keinen wissenschaftlichen Beleg, dass ATI-Proteine einen Einfluss auf die Verdaulichkeit haben.


Wichtige Krankheiten und medizinische Symptomatiken im Zusammenhang mit Weizen
Wichtige Krankheiten und medizinische Symptomatiken im Zusammenhang mit Weizen


FODMAPs als Ursache?

Etwa 7 % der Bevölkerung leiden unter einem Reizdarmsyndrom. Im Falle vom sogenannten Bläh-Schmerztyp wird hier mitunter zu verringertem Brotkonsum geraten. Die in Brot enthaltenen FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) könnten zur Verschlimmerung der Symptome beitragen. Mehrere Studien belegen, dass hier durch erhöhten Hefeeinsatz und längere Teigführung (z. B. Teigruhe über Nacht) erheblich Abhilfe geschaffen werden kann. FODMAPs sind letztlich Zuckerbestandteile und somit Nährsubstrate für Hefen. Auch eine Sauerteigführung bzw. die Auswahl spezieller Sauerteighefen tragen nachweislich zum Abbau von FODMAPs bei. Zu diesen Backmaßnahmen wird häufig geraten, wenn es um die Verarbeitung von Dinkel-, Emmer- und Einkornteigen geht. Damit können backtechnische Nachteile dieser Arten gut ausgeglichen werden. Somit wäre es auch nicht weiter verwunderlich, dass einige Menschen mit Dinkel-, Emmer- und Einkornprodukten weniger Probleme haben. Denn häufig werden Weichweizenteige deutlich kürzer geführt. Das setzt jedoch voraus, dass FODMAPs wirklich als Hauptursache für Unverträglichkeiten angenommen werden können, was jedoch nicht abschließend wissenschaftlich bestätigt ist.


FOMAP-Gehalte von Lebensmitteln
FOMAP-Gehalte von Lebensmitteln


Fazit

Dinkel, Emmer und Einkorn haben in aller Regel höhere Gehalte an wertvollen Inhaltsstoffen und sind auch geschmacklich eine interessante Alternative. Zudem haben gerade Bäcker hier eine Möglichkeit, ihr handwerkliches Know-how zu nutzen, um sich im Angebot (z. B. mit „Urgetreidebroten“) von Discountern abzuheben. Viele Bäcker gehen tendenziell wieder in Richtung längerer Teigführung, gerade wegen besserer Aromen, vorteilhafter Backeigenschaften und oft begünstigter Verdaulichkeit. Was die bessere Verträglichkeit von Dinkel, Emmer und Einkorn gegenüber Weichweizen anbelangt, gibt es noch keine einheitlichen wissenschaftlichen Fakten. Daher gilt weiterhin bei Reizdarmsyndrom, Weichweizenallergie und Nicht-Zöliakie-Gluten-/Weizen-Sensitivität, dass jeder/jede für sich selbst herausfinden muss, ob Dinkel-, Emmer- und Einkornbackwaren besser vertragen werden.

Der anhaltende Erfolg dieser Kulturen sollte aber nicht auf „Weizen-Bashing“ fußen. Weichweizen ist für den gesunden Menschen kein schädliches Lebensmittel, sondern ist im Gegenteil nach wie vor ein sehr gesundes Grundnahrungsmittel (FAO) und nicht aus der Welternährung wegzudenken.

Dazu sehen Sie auch folgenden Beitrag auf YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=rnPbwB5erAg


Schnell gelesen (Kurzfassung):

Aufgrund der nahen Verwandtschaft sind Weizen und Dinkel genetisch sehr ähnlich, jedoch sind etwa 35 % der Proteine signifikant unterschiedlich. Dinkel enthält im Durchschnitt der Sorten doppelt so viele Mineralstoffe und fast doppelt so viele essenzielle Fettsäuren wie Weichweizen. Der Glutengehalt bei Dinkel ist allerdings ebenfalls höher als bei Weichweizen. Doch viele Menschen haben das Gefühl, Dinkel besser zu vertragen als Weizen - was könnten die Ursachen sein? (Das Gerücht unter Verbraucherinnen und Verbrauchern, Dinkel sei glutenfrei, stimmt jedenfalls nicht.)

Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob dieses Phänomen auf bestimmte Proteine zurückzuführen ist (ATI), ob sogenannte FODMAPS  als Ursache in Frage kommen. Vielleicht ist ein guter Teil der Weizenunverträglichkeiten auch auf eine andere Teigführung der Backwaren zurückzuführen.

Was auch immer die Ursachen für vermehrte Weizenallergien und -unverträglichkeiten sind: Sie betreffen nur einen sehr geringen Teil der Weltbevölkerung: Für über 90 % der Menschen weltweit ist und bleibt Weichweizen ein gesunder Rohstoff für gesunde Nahrungsmittel. Und Weizen ist aus der Welternährung nicht wegzudenken.