Untrennbar verbunden mit der züchterisch verbesserten Leistungsfähigkeit von Sorten ist eine kontinuierliche Anpassung an die sich wandelnden Umwelt- und Produktionsbedingungen. Der Klimawandel stellt in diesem Zusammenhang eine herausragende Herausforderung für die Weizenzüchtung dar. Weizenzüchter Dr. Matthias Rapp über Eigenschaften zukünftiger Weizensorten
Meist ist der Züchtungsprozess ein Weg vieler kleiner Schritte, der im Verlauf der Jahre immer wieder Sorten mit verbesserten Eigenschaften hervorbringt. Der Beginn eines Zuchtzyklus wird durch eine Kreuzung markiert. Dabei geht es darum, möglichst viele positive Eigenschaften von zwei unterschiedlichen Elternsorten zu kombinieren und somit eine neue wünschenswerte Variation für die folgende Selektion zu schaffen. Das Ziel in den folgenden Generationen ist es, diese Variation in reinen Zuchtstämmen zu fixieren und Zuchtstämme zu selektieren, welche möglichst viele positive Eigenschaften aus beiden Eltern vereinen. Gelingt dies, stehen am Ende des Zuchtzyklus Sorten mit verbesserter Leistungsfähigkeit. Der gesamte Zuchtzyklus erfordert viele Jahre und schließt mehrjährige Feldprüfungen und Selektionen an einer Vielzahl unterschiedlicher Orte mit ein. Zuchtstämme, die erfolgreich einen Zuchtzyklus bis zur Sortenreife durchlaufen, erhalten so bereits eine Art passive Anpassung an ein sich kontinuierlich veränderndes Klima.
Klimawandel erhöht den Druck auf die Züchtung
Die Beschleunigung des Klimawandels erhöht auf die Züchtung den Druck, damit verbundene Fragestellungen aktiv zu bearbeiten. Der erste Schritt besteht darin, zu verstehen, mit welchen Herausforderungen Produktionssysteme für Winterweizen in Deutschland in 10–20 Jahren konfrontiert sein werden. Daraus erwachsen gegebenenfalls neue Anforderungen an Weizensorten. Im Züchtungsprozess muss dann diesen Anforderungen in der Gewichtung von Einzelmerkmalen und in der Selektion Rechnung getragen werden. Nur so können zukünftige Sorten gegen diese neuen Herausforderungen gewappnet sein.
Müssen zukünftige Weizensorten andere Eigenschaften mitbringen?
Ein zukünftig weiterer Anstieg der Temperatur über das gesamte Jahr gilt wissenschaftlich als gesichert. Auch gibt es Hinweise auf eine tendenzielle Zunahme von Niederschlägen. In den Sommermonaten ist jedoch mit einer Zunahme an Hitze- und Trockenereignissen zu rechnen. Für Winterweizen bedeutet dies, dass es vermutlich zu einer Ausdehnung der Wachstumsphase in der kühleren Jahreszeit kommt, während in den Sommermonaten immer häufiger Stressbedingungen, insbesondere Hitze- und Trockenstress vorherrschen.
Auch der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen. Dies hat ebenfalls einen direkten Einfluss auf den Weizenanbau. Forschungsergebnisse zeigen, dass durch eine erhöhte CO2-Konzentration Kornerträge steigen. Allerdings wurden auch geringere Proteingehalte beobachtet, was tendenziell zu einer geringeren Qualität führen dürfte. Aktuelle Forschungsprojekte gehen den zugrunde liegenden biologischen Prozessen nach. Jedoch könnte dies für die Weizenzüchtung bedeuten, dass Weizensorten mit höheren Proteingehalten und einem hohen Stickstoffaneignungsvermögen in Zukunft eine größere Rolle spielen werden. Zwar ist der Proteingehalt in Verbindung mit Ertrag seit Langem ein wichtiger Selektionsfaktor, langfristig würde seine Gewichtung dann jedoch steigen.
Auch die Anpassung an Hitze und Trockenheit wird maßgeblich sein. Hitze und Trockenstress wirken sich einerseits direkt ertragsmindernd aus, andererseits bedingt ein trockener Boden eine schlechtere Verfügbarkeit von Nährstoffen – mit negativen Auswirkungen auf Ertrag und Qualität. Daher sind für die Züchtung Weizensorten interessant, die aus Regionen stammen, in denen heute schon klimatische Bedingungen vorherrschen, wie sie in Mitteleuropa zukünftig zu erwarten sind.
Im Hinblick auf die Standortwahl von Feldversuchen ist es wichtig, dass Zuchtstämme auch an Standorten geprüft werden, an denen bereits heute die Stressbedingungen von morgen auftreten. Einen wichtigen Faktor stellt sicherlich auch ein verbessertes Wurzelsystem dar. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem oberirdischen und dem unterirdischen Pflanzenwachstum. Demzufolge könnten in Zukunft auch Weizenpflanzen mit einer größeren Wuchshöhe während Trockenperioden einen Vorteil haben. Außerdem spielt der Reifezeitpunkt eine wichtige Rolle. Früh reifende Weizensorten haben in Jahren mit heißen trockenen Sommern meist einen Vorteil. Sie können bei der Ertragsbildung der großen Hitzewelle und zunehmenden Trockenheit während des Hochsommers weitestgehend entgehen. In Jahren mit feuchteren und kühleren Sommern dagegen können eine längere Wachstumsphase im Sommer und eine spätere Reife jedoch von Vorteil sein. Deshalb ist ein Anbau unterschiedlicher Reifetypen eine Möglichkeit zur Risikoabsicherung.
Die Zunahme von Unwettern mit Starkregen insbesondere in den Sommermonaten erhöht die Gefahr für Lager. Außerdem könnten auch Verschiebungen der Wachstumsphasen durch milde regenreiche Winter zu einem Überwachsen von Beständen führen, was ebenfalls das Lagerrisiko erhöhen kann. Insofern wird die Standfestigkeit der Sorten wichtiger. Dadurch relativiert sich auch der zuvor genannte Vorteil eines verbesserten Wurzelwachstums durch größere Wuchshöhe. Zumindest sollte diese keinesfalls zulasten der Standfestigkeit gehen. Ebenfalls dürften häufigere Schauerereignisse in den Sommermonaten die Fallzahl und Fallzahlstabilität von Sorten weiter in den Fokus rücken.
Höhere Temperaturen fördern die Vermehrung und Verbreitung vieler Schadorganismen. Bezogen auf Weizen sind bei Insekten hier besonders Blattläuse und Zikaden relevant, da diese Vektoren für Viruserkrankungen sind. Es gibt bereits vermehrt Anstrengungen, auch im Weizen Resistenzen gegenüber solchen Viren einzukreuzen. Ähnliches gilt für neue Schaderreger, wie beispielsweise Schwarzrost, der im Jahr 2021 in weiten Teilen Europas beobachtet wurde. In vielen Teilen der Welt führt dieser Pilz bereits zu hohen Ertragseinbußen. Das Beispiel zeigt, dass auch neue Schaderreger bei uns Fuß fassen könnten. Als Züchter gilt es, solche Entwicklungen aufmerksam zu beobachten und gegebenenfalls resistente Zuchtstämme zu entwickeln.
Fazit
Zusammengenommen gibt es also eine Reihe von Merkmalen, welche zukünftig in der Getreidezüchtung weiter an Bedeutung gewinnen werden. Schwerpunkte der Züchtungsanstrengungen sind das Minimieren von Anbaurisiken durch erhöhte abiotische und biotische Stresstoleranz. Dies trägt letztendlich zur Ertragsstabilität und Sicherstellung von Qualität bei schwankenden Umweltbedingungen bei. Entscheidend für den Erfolg der Züchtung wird sein, traditionelle Züchtung mit neuen technischen Entwicklungen zu vereinen. Dabei spielen unter anderem verbesserte Datenmanagement-Systeme, innovative Sensortechnik und genomische Ansätze eine wichtige Rolle.
Fotos: Rapp/W. v. Borries-Eckendorf, Saaten-Union
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Schwerpunkte der Züchtungsanstrengungen sind das Minimieren von Anbaurisiken durch erhöhte abiotische und biotische Stresstoleranz.
Es gibt eine Reihe von Merkmalen, die zukünftig in der Getreidezüchtung weiter an Bedeutung gewinnen werden, damit der Weizen der Zukunft mit den veränderten Bedingungen zurechtkommt. Diese sind zum Beispiel:
- Steigerung der Hitze- und Trockenresistenz
- Höheres N-Aneignungsvermögen
- Höhere Proteingehalte
- Verbessertes Wurzelsystem
- Verbesserte Standfestigkeit
- Erhöhung der Fallzahl/Fallzahlstabilität
Entscheidend für den Erfolg der Züchtung wird sein, traditionelle Züchtung mit neuen technischen Entwicklungen zu vereinen. Dabei spielen unter anderem verbesserte Datenmanagement Systemen, innovative Sensortechnik und genomische Ansätze eine wichtige Rolle.