Aller Züchtung vorangestellt sind die Ansprüche, die von der Praxis an eine Sorte gestellt werden: Besonders bei Ackerbohnen, aber auch bei Körnererbsen sind dies seit Jahrzehnten ein hoher und mehrjährig stabiler Kornertrag sowie ein leicht zu führender und zu erntender Bestand. Fast alle weiteren Zuchtziele lassen sich daraus ableiten. Dr. Gregor Welna gibt einen Überblick über die aktuelle Ackerbohnenzüchtung bei der Norddeutschen Pflanzenzucht.
Sortenzüchtung bei Ackerbohnen und Körnererbsen beginnt – wie bei allen landwirtschaftlichen Kulturen – mit der paarweisen Kreuzung einer Vielzahl verschiedener Eltern mit unterschiedlichen Eigenschaften. Der Pflanzenzüchter hofft darauf, in einigen der Tausenden Nachkommen dieser Kreuzungen die besten Eigenschaften der Eltern vereint zu finden. Dabei wird sowohl bei Ackerbohnen als auch bei Körnererbsen besonderer Wert auf ein stabiles und hohes Ertragsniveau in Kombination mit einem hohen Proteingehalt gelegt. Ergänzt werden diese Qualitätsparameter um wichtige agronomische Eigenschaften wie eine gute Standfestigkeit und damit einhergehend eine gute Beerntbarkeit sowie frühe Abreife (insbesondere bei Ackerbohnen) und Krankheitsresistenzen.
In vielen dieser Eigenschaften konnten in den vergangenen 40 Jahren deutliche Verbesserungen erzielt werden – Abb. 1 zeigt einen deutlichen Ertragsfortschritt bei Ackerbohnen. Aber es gilt: Gegebenheiten ändern sich (z. B. Witterungsbedingungen, Krankheitsgeschehen, Marktanforderungen), Anpassungen und Neuerungen sind daher nötig. Bei vielen Charakteristika wie beispielsweise beim Proteingehalt, der Frühreife oder der Standfestigkeit ist eine weitere stetige Verbesserung unsere tägliche Arbeit.
Für eine erfolgreiche Sortenentwicklung ist der Blick in die Zukunft wichtig: Da die Entwicklung einer neuen Sorte 8 bis 12 Jahre dauert, müssen wir versuchen, zukünftige Erfordernisse vorherzusehen. Seit über 10 Jahren arbeiten wir daher an der Toleranz gegenüber Wassermangel und Hitze. Wir konnten Genotypen identifizieren, die auch bei starker Trockenheit einen besseren Ertrag zeigen als die etablierten Vergleichssorten. Noch schwieriger ist die Suche nach Resistenzen gegen Schädlinge wie den Blattrandkäfer, den Ackerbohnenkäfer oder Blattläuse. Verminderte Anfälligkeiten bzw. Toleranzen sind selten und finden sich häufig in wenig leistungsfähigem Sortenmaterial oder gar nur in verwandten Arten. Die Übertragung solcher Toleranzen in angepasstes Zuchtmaterial kann zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Die Ausweitung der heimischen Eiweißproduktion ist getrieben durch den Wunsch nach gentechnikfreien Futtermitteln und die Verringerung internationaler Anhängigkeiten ist erklärtes politisches Ziel. Ackerbohnen enthalten natürlicherweise die antinutritiven Inhaltsstoffe Vicin und Convicin. Wir konnten durch intensive, über 20-jährige Bearbeitung den Gehalt dieser Stoffe so weit reduzieren, dass die Fütterung von Nutztieren wie Legehennen zu einem erheblich höheren Anteil mit unseren vicin-/convicinarmen Ackerbohnensorten erfolgen und dadurch der Einsatz von Futtermitteln aus Übersee gesenkt werden kann.
Gab es Mitte des letzten Jahrzehnts nur die Sorte TIFFANY in diesem Segment, so haben wir mittlerweile für mehrere neue, vicin- und convicinarme Sorten Zulassungen des Bundessortenamtes erhalten. Viele weitere solcher Ackerbohnensorten sind für diekommenden Jahre zu erwarten: Erfreulicherweise geht die erhebliche Verringerung des Vicin- und Convicingehaltes nicht mit Ertragseinbußen einher – im Gegenteil: neue vicin-/convicinarme Sorten dreschen mittlerweile besser als solche mit normalem Vicin-/ Convicingehalt (s. Abb. 2)
Um Anpassungen an neue Herausforderungen biotischer und abiotischer Natur anzugehen, bedarf es modernster Technologien. Daher kooperieren wir sehr eng mit der Wissenschaft. Hierdurch können wir theoretische Erkenntnisse und neue Technologien so schnell wie möglich in die Sortenzüchtung übertragen. Die Entschlüsselung des Genoms von Körnererbse und Ackerbohne in jüngster Zeit erlauben uns Eigenschaften auch auf molekularer Ebene noch gezielter zu bearbeiten. So kennen wir zum Beispiel die genetische Grundlage der Vicin- und Convicinarmut und können sehr gezielt selektieren.
Das Erbgut der Ackerbohne wird derzeit noch intensiver als zuvor von internationalen Forschergruppen bearbeitet. Zukünftig wird diese Grundlagenforschung die Sortenzüchtung für die Landwirtschaft noch weiter beschleunigen und die Lösung komplexer Herausforderungen wie Insektenresistenzen oder Toleranzen gegen Wassermangel erleichtern.
Am Ende aber bleibt der Grundsatz: Antrieb und Ziel unserer Arbeit sind die Erfordernisse, die die landwirtschaftliche Praxis an eine Sorte stellt.
Hans Lembke beginnt mit der Pflanzenzüchtung 1897 und legt damit den Grundstein für die
Gründung der Norddeutschen Pflanzenzucht 1946.